Nicaragua-Reise

Samstag, 18.09.10 bis Samstag, 25.09.10

Montag: Wir sind seit zwei Tagen hier und die Arbeit hat noch nicht begonnen, weil wir noch auf die Sachen warten muessen. "Die Sachen" sind Wasserfilter, die an 16 Gemeinden flussabwaerts am Río Coco verteilt werden sollen. Die Doerfer waren ueberschwemmt und haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Sie trinken aufgefangenes Regenwasser oder Flusswasser. Das kann man sich kaum vorstellen. Von dem schmutzigen Wasser haben die Kinder Durchfall. Das Risiko dafuer kann mit der kontinuierlichen Benutzung eines Wasserfilters von 100 auf 5% verringert werden. Durch den Regen sind die Ertraege der Ernte zur Zeit gering und es gibt wenig zu essen. Im Oktober werden Lebensmittel verteilt, die fuer einen Monat reichen, um den Hunger bis zur naechsten Ernte wenigstens etwas zu lindern. Spaeter, im November, wird Saatgut verteilt. Das ganze Projekt laeuft jetzt an und dauert sechs Monate.

Hier ist es unglaublich heiss, weil es wenig regnet. Schon morgens brennt die Sonne unangenehm auf der Haut und wir gehen lieber nachmittags im Dorf oder auf der Landebahn spazieren, die hier normalerweise als Strasse genutzt wird und von einer grossen Wiese umgeben ist. Es ist ein komisches Gefuehl hier durch die Strassen zu gehen, weil wir von allen angestarrt werden. Hierhin verlaufen sich eben nur wenige Menschen mit weisser Haut.

Samstagnachmittag kamen uns am Ausgang eines kleinen Restaurants zwei bettelnde Frauen entgegen. Als Ceri sie mit "Buenas" gruesste, laehte die eine nur veraechtlich auf und sagte zu der anderen: "Da sagt sie <Buenas>". Wir hatten ihnen kein Geld gegeben, sondern nur gegruesst. Irgendwo konnten wir die Verbitterung der Frau verstehen, schliesslich fuellt ihr ein Gruss auch nicht den Teller. Trotzdem glauben wir, dass etwas Freundlichkeit in keiner finanziellen oder sozialen Lage schaden kann...


Dienstag: Gestern Nachmittag haben wir mehr als 300 Eimer mit Aufklebern versehen, die die Namen des Projekts, der ausfuehrenden Organisation und der Spender (EU) tragen. Diese Aufkleber sind Vorschrift von der EU und muessen auf allen Spenden sein.

Heute haben wir uns um sechs Uhr morgens mit einem Boot in das erste Dorf aufgemacht. Auf dem Weg haben wir die Boote mit der Ladung ueberholt. Waehrend des Sonnenaufgangs war der Río Coco noch schoener als das letzte Mal. Das Wasser spiegelte den Himmel und das ueppig bewachsene Ufer. Die Sonne warf eine glitzernde Linie auf den Fluss. Als wir in dem Dorf ankamen, beobachteten uns viele neugierige Kinder. Wir haengten unser Plakat auf, das wie die Sticker aussieht und auch Pflicht ist, an die Fenster der Schule. Wir erfuhren, dass die Schule momentan geschlossen ist, weil der Lehrer nicht im Dorf ist. Deshalb haben die Kinder oft keinen Unterricht. Da hat man ein tolles Schulgebaeude und eine Partei an der Regierung, die betont, wie sehr sie das Schulsystem verbessert hat, doch die Kinder haben immer noch keinen Unterricht. Unglaublich! Wenigstens dienten uns die Raeume nun als Ort, um den Menschen das Projekt genau zu erklaeren. Dabei wurde vom Spanischen immer auch ins Miskito uebersetzt, die Sprache der Ureinwohner, die hier gesprochen wird.

Nach der Einfuehurg ging es mit der Verteilung los. Wir hatten die Aufgabe die Filter zusammenzubauen. Pelle fragte einen Jungen, der mit den Einzelteilen spielte, ob er mithelfen wolle. Der Junge sprach jedoch nur Miskito und bevor Pelle es ihm zeigen konnte, war er schon weggelaufen. Durch Listen kontrolliert, bekam jede Familie einen davon. Wir gaben auch Menschen, die anderen Menschen, die nicht in der Lage waren zu kommen, welche mitbringen wollten, Filter. Dass es die Menschen, die nicht kommen konnten wirklich gibt, wird durch den Koordinator der Gemeinde kontrolliert. Einer Frau brachte Ceri den Filter nach Hause, weil sie alleine mit ihrem Baby, das sie tragen musste, gekommen war. Auf dem Rueckweg traf sie einige Kinder, die die Reispflanzen verarbeitet haben. Das tun sie also, wenn die Schule nicht stattfindet. Hoffentlich nicht auch, wenn der Lehrer mal kommt...

Die Verteilung dauerte in dem ersten Dorf etwa zwei Stunden. Eine andere Gemeinde, bei der es zur Zeit zu matschig ist, um auszuladen, kam auch dorthin, um Filter abzuholen. Waehrend wir bei der ersten Gemeinde, urspruenglich 172 Familien, fuenf Filter mehr verteilten, weil es fuenf Familien mehr gab, mussten wir hier 20 zusaetzliche Filter verteilen, obwohl es nur eine kleine Gemeinde mit urspruenglich knapp 60 Familien war. Vierzehnjaehrige Maedchen gaben an verheiratet zu sein, um einen Filter zu bekommen. So fehlten uns bei der dritten Gemeinde drei Filter, die wir ihnen erst in den naechsten Tagen bringen koennen. Diese betrog uns aber vermutlich auch heftig... Als Konsequenz wird jedes Haus bei der Essensvergabe im Oktober noch einmal kontrolliert und jedes Familienoberhaupt muss persoenlich erscheinen.

Bevor wir zu der dritten Gemeinde fuhren, legten wir am gegenueberliegenden Flussufer, in Honduras!, an. Dort wollten wir unser Mittag essen, um es nicht direkt vor den hungernden Menschen zu tun. Es war schon dort ein komisches Gefuehl unsere grossen Portionen Reis, Salad, Brot und Haehnchen zu essen, und in dem Dorf haetten wir wohl eher alles verteilt als selbst gegessen. Wir assen lustlos, einfach um bei Kraeften zu bleiben. Mit den gerade aufgenommenen Eindruecken ging das nicht anders...

Als wir nach Waspám zurueckgekommen waren, ging die Arbeit gleich weiter. Die 300 Filter fuer den naechsten Tag mussten beklebt werden. Jetzt ist alles geschafft - wir auch. Aber wir fuehlen uns gut mit der Gewissheit, dass heute Abend ein paar Menschen mehr auf der Welt sauberes Wasser zu trinken haben.


Mittwoch: Als wir um sechs Uhr im Buero ankamen, erfuhren wir, dass wir heute nicht fahren koennen, weil es in Waspam keinen Sprit mehr fuer die Boote gibt. Der Tanklaster steckte irgendwo auf der einzigen Strasse, die hierher fuehrt fest, vielleicht an einer eingestuerzten Bruecke, einer Strassensperre, oder einfach im Matsch. An unserer grossen Enttaeuschung, die uns selbst ueberraschte, merkten wir, dass uns die Arbeit wirklich Spass gemacht hatte. Stattdessen sind wir mal wieder ueber die Landebahn und durch Waspam spaziert. Auf dem Rueckweg schauten wir nochmal im Buero vorbei. Sie hatten doch noch ausreichend Sprit aufgetrieben, sodass wir verspaetet doch losfahren konnten. Heute war das Dorf Andres an der Reihe.

Rafael, der Koordinator des Projekts, hat den Aufbau der Filter diesmal etwas strukturierter organisiert und es ging, obwohl immer noch Chaos herrschte, auch viel schneller. Mit Hilfe der engangierten Dorfgemeinschaft und deren Koordinator haben wir in drei Stunden 240 Filter aufgebaut und verteilt.

Rafael ist am Ende mit den uebrigen Filtern zum naechsten Dorf, Boom, gefahren um dort schon mit dem Koordinator zu sprechen. Er musste dort mit den Bootsfahrern uebernachten, weil es zu spaet fuer die Rueckfahrt war. Die Familie, die Boote vermieten und die Fahrten machen, heisst "Muller". Der Name kommt von einem Deutschen namens Mueller, der waehrend der Kolonisierung nach Nicaragua kam und dessen Nachkommen jetzt noch hier leben. An ihrem Aussehen wuerde man sie aber keine deutsche Abstammung vermuten.


Donnerstag: Heute ging es wieder frueh los. Erst fuhren wir wieder nach Andres. Rafael war dabei die restlichen Filter zu verteilen. Wir fuhren doch gleich weiter in das Dorf Boom, das gestern schon einige Filter von Rafael bekommen hatte. Keña, eine andere Koordinatorin, die auch Miskito spricht, wollte nochmal mit dem Koordinator des Dorfes sprechen. Denn in Boom hatten schon einige Familien zwei Filter von Projekten anderer Organisationen bekommen. Jetzt wollte Keña erreichen, dass die Filter zurueckgegeben werden, damit sie anderwo versteilt werden koennen. Die Kommunikation zwischen den verschiedenen Hilfsorganisationen ist also auch sehr wichtig, damit Projekte effektiv sind.

Nach dem Gespraech fuhren wir wieder zurueck nach Andres. Als alle Filter verteilt waren, erklaerte Keña den Menschen auf Miskito die Anwendung. Das ist auch ein wichtiger Teil der Arbeit. Zwar erscheint uns die Anwendung nicht schwer, aber genaue Erklaerungen motivieren die Menschen mehr, die Filter auch anzuwenden. Das ist naemlich aus Erfahrung leider nicht immer der Fall. Juergen hat uns von Filtern erzaehlt, die zu Blumentoepfen und Aufbewahrungsorte fuer Eier wurden...

Heute fiel uns zwischendurch auf, dass sich die Menschen beim Erhalten des Filters nicht bedankten. Manche meckerten sogar, wenn die Verpackung nicht mehr gut aussah oder sie der Meinung waren, Anspruch auf mehrere Filter zu haben. Es ist wie ueberall in der Welt, in jeder finanziellen Lage wollen Menschen mehr...                Erst am Ende aeusserten einige ihren Dank fuer die Hilfe. Das Eigenartige daran war, dass diese paar netten Worte den ganzen Aerger ueber den Betrug und die vielen Leute, die alles wie selbstverstaendlich annahmen oder noch schimpften, ueberwogen. Danach waren wir sogar geruehrt und fuhren mit gluecklichen Gefuehlen ab.

Auf der Rueckfahrt regnete es heftig. Als wir Mittags im Hotel ankamen, sagte uns der Eigentuemer, dass ein Hurrikan erwartet wurde. Und spaeter stuermte es auch noch mehr. Morgen werden wir nicht mit Keña in das Dorf, La Esperanza, fahren koennen, wo wir bereits im Juli waren. Das waere bei dem erwarteten Wetter zu gefaehrlich. Es fliegen morgen auch keine Flugzeuge, deshalb werden wir noch bis Samstag hierbleiben muessen.


Freitag: Ein Tag, den es zu fuellen gilt, an dem wir nichts zu tun haben. Wir sind halbwegs spaet aufgestanden, und haben so lange es unter einer kalten Dusche geht geduscht. Beim Einkaufen haben wir Keña getroffen, die uns sagte, dasss am Samstag kein Flugzeug fliegen wuerde. Fuer uns bedeutete es, dass wir bis Montag in Waspam festsitzen wuerden. Wir kauften also Brot fuer die Tage und fuer ein gutes Mittagessen ein. Wir gingen wieder spazieren, lasen uns vor und ueberlegten, was wir in den Projekten noch machen wollten. Im Fernsehen gab es zufaellig Star Wars auf Spanisch, doch leider fiel ploetzlich der Strom aus. Als er wieder ging, lief schon der Abspann. Sehr aergerlich... Der Hotelbesitzer erklaerte uns, dass der vermeintliche Hurrikane nur ein "tormento tropical", ein tropisches Unwetter war und nach Honduras weitergezogen ist. Der Tag ist unerwartet schnell vergangen und es gab sogar Hoffnung, dass wir doch fliegen koennten.


Samstag: Frueh am Morgen hat Cecilio erfahren, dass es tatsaechlich keinen Flug geben sollte.
Ceri und Pelle sind mal wieder spazieren gegangen, diesmal auf die andere Seite der Landebahn. Ploetzlich rief Keña an und sagte wir sollen ganz schnell ins Buero kommen "rapido". Dort erfuhren wir, dass doch ein Flugzeug kommen wuerde und es noch zwei Plaetze fuer uns gab. Cecilio, der auch fliegen wollte, wuerde erst am Montag zurueckfliegen koennen. Wir packten also schnell unsere Sachen ein, gaben Rafael die Zutaten fuer das Mittagessen und gingen schnell zum Flugplatz. Dort mussten wir lange warten und wurden sogar noch zum Mittagessen geschickt, aber schliesslich kam das Flugzeug und wir konnten durch prasselnden Regen, der die Scheiben des Flugzeugs erzittern liess, doch nach Hause fliegen. Es war eine sehr nervenkostende Rueckreise.


Trotz des anstrengenden Endes war die Reise ein tolles Erlebnis und die Arbeit hat uns viel Spass gemacht. Wir wuerden es immer wieder machen.